Das Drama von Sao Paulo!
Die Bilder des brennenden Londoner Grenfell Towers haben bei mir unwillkürlich Erinnerungen an den Katastrophenbrand im so genannten Joelma-Hochhaus am 1. Februar 1974 in Sao Paulo, der größten Stadt Brasiliens, wachgerufen. Dieses Ereignis forderte damals 179 Tote sowie über 300 Verletzte und wurde – das war zu dieser Zeit eine Seltenheit – in einem Amateurfilm hautnah dokumentiert. Man sah die springenden und am Boden zerschmetterten Menschen, die verzweifelt kämpfenden Feuerwehrmänner und die angsterfüllten Gesichter der bedrohten Personen, die sich über Leintücher abzuseilen versuchten. Und dieser Film hatte exemplarische Bedeutung, denn er zeigte den katastrophalen vorbeugenden Brandschutz in den Hochhausgiganten der damaligen Zeit erbarmungslos auf.
Der Katastrophenbrand von Sao Paulo war ein Wendepunkt im Brandschutz.
Achillesferse bloßgelegt!
Aber Hand aufs Herz! Die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts errichteten Hochhäuser waren auch bei uns durchwegs ohne die erforderlichen Brandschutzvorkehrungen errichtet worden. Und dieser Film, der um die ganze Welt ging, zeigte dies auf! Er musste ganz einfach Reaktionen zur Folge haben! Bereits im Frühsommer 1974 haben wir daher den international bekannten Oberbranddirektor der Frankfurter Feuerwehr Dipl. Ing. Ernst Achilles nach Graz eingeladen, um eine Studie über die steirischen Hochhäuser zu verfassen. Und diese fiel niederschmetternd aus: Faktisch alle dieser Bauwerke hatten einen ähnlich schlechten Brandschutzstandard wie das Joelma-Hochhaus in Sao Paulo. Wie ich einmal salopp formulierte: „Achilles hat die Achillesferse des Brandschutzes bei unseren damaligen Hochbauten bloßgelegt!“
Gefährliche Altlasten!
Warum werden manche meiner Leser nun fragen, beschäftige ich mich mit der Geschichte des Hochhaus-Brandschutzes? Ganz einfach, weil man nur dadurch unsere heutige Situation einigermaßen verstehen kann. Denn welche Lehren zog man damals aus der Joelma-Katastrophe? Man änderte durchwegs die einzelnen Baugesetze in Österreich in den Siebzigerjahren und forderte strenge bauliche und technische Brandschutzmaßnahmen für Hochbauten. Dies hatte zur Folge, dass vor allem aus Kostengründen in den nächsten Jahrzehnten in den Bundesländern nur wenige Hochhäuser errichtet wurden. Andererseits schuf man auch die gesetzlichen Voraussetzungen zur Nachrüstung von alten Hochhäusern im Bereich des Brandschutzes, um die Altlasten ausmerzen zu können. In der Steiermark war dies der berühmte § 50a, welcher als § 103 im neuen Baugesetz 1995 weitergelebt hat. Mit diesem Instrumentarium konnte man nun auch in den Altbestand derartiger Bauwerke eingreifen.
Keine Panikmache und Vertuschung!
Leider wurde dieser im Baugesetz verankerte „Nachrüst-Paragraf“ im Jahre 2007 in einer unsachlichen Diskussion durch eine Bürgerinitiative und politisches Unverständnis eliminiert. Dafür wurde ein – meiner Meinung nach – relativ zahnloser Ersatzparagraf im damaligen Feuerpolizeigesetz geschaffen. Eine nach wie vor unbefriedigende Situation für den Brandschutz in Hochhäusern, da nur ein Teil der Altlasten vorher eliminiert werden konnte. Nach groben Schätzungen können heute noch weit über 150 Hochhäuser in der Steiermark als nicht optimal saniert angesehen werden. In den anderen Bundesländern ist die Lage ähnlich und es sollte daher Österreichweit eine sachliche (und nicht wie vor Kurzem äußerst emotionale) Diskussion in Gang gesetzt werden. Man muss ganz einfach der Realität ins Auge sehen, denn mit Panikmache, aber auch Vertuschungsaktionen ist vor allem den Hochhausbewohnern und den Einsatzkräften nicht gedient!
Erkenntnisse
Heute werden Hochhäuser durch den Einbau von Sicherheitsstiegenhäusern, Sicherheitsaufzügen und mit automatischen Brandmelde-, Druckbelüftungs- bzw. Löschanlagen einigermaßen sicher errichtet. Dies wird in erster Linie bei Neubauten durch die relativ neue OIB-Richtlinie 2.3 gewährleistet. Auch die Wärmedämmung muss danach bei Hochhäusern mit unbrennbaren Materialien erfolgen. Es wird daher mit größter Wahrscheinlichkeit ein Katastrophenereignis wie im Grenfell Tower bei uns in diesen Fällen nicht geben! Allerdings muss die Frage nach Altlasten im Hochhausbereich (Gebäude ab 22 m Fluchtniveau) gestellt werden dürfen. Und in diesem Zusammenhang sind auch mögliche Fassadenbrände bei Bauwerken unter dieser Höhe zu diskutieren, denn hier sind brennbare Dämmstoffe nach der derzeitigen Gesetzeslage zulässig. Alles in Allem: Wir sollten den Katastrophenbrand im Grenfell Tower zum Anlass nehmen, ernsthaft über den Brandschutz in unseren Bauwerken nachzudenken! Das ist das Gebot der Stunde!
Dieser Kommentar wurde vom Präsidenten des BFA, Univ.-Lektor OSenR ELFR Dr. Otto Widetschek, verfasst und stellt seine persönliche Meinung zum vorliegenden Themenkreis dar! Eine umfassende Analyse des Katastrophenbrandes von London kann der nächsten BLAULICHT-Nummer entnommen werden! Hier zum Artikel als PDF >>
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